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Im Gespräch mit Peter-André Alt und Heiko Knopf
5. Juni 2023
Was ursprünglich als Doppelinterview mit zwei Max Planck Schools-„Alumna“ – Prof. Peter-André Alt, bis März diesen Jahres einer von zwei Vorsitzenden des Schools Lenkungsausschusses, und Dr. Heiko Knopf, Absolvent der MPS Photonics – angedacht war, entwickelte sich schnell zu einem angeregten Gespräch: Von den unterschiedlichen Sichtweisen auf das Schools-Programm, der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft, Robert Musil und Thomas Mann sowie darüber, was ein Post-it mit Herrn Knopfs erfolgreicher Promotion zu tun hat. Wir mussten also nur wenige Fragen stellen und durften ansonsten dem Gespräch gespannt lauschen. Ausgangspunkt war die Frage, welche Elemente die beiden an den Max Planck Schools besonders schätzen.
Heiko Knopf: Ein für mich ganz besonderes und wichtiges Element der Schools ist der unmittelbare Zugang zu einem vielfältigen Netzwerk. Im wissenschaftlichen Alltag ist man natürlich neugierig, aber in diesem größeren Netzwerk hat sich für mich noch einmal eine ganz andere Entdeckungsfreude geöffnet, weil wir die Möglichkeit hatten, ganz offen miteinander zu diskutieren und sich aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen, Herangehensweisen und Experimenten auszutauschen. Das ist ein sehr guter, ergänzender Aspekt, der große Synergien geschaffen hat, ebenso wie eine andere Art von Neugier.
Peter-André Alt: Das finde ich sehr interessant, denn das ist genau das, was ich aus der Außensicht, die ich ja nun einmal auf das Programm hatte, wahrgenommen und vermutet habe. Dass es eine wechselseitige Inspiration gibt, die bei Individualpromotionen häufig fehlt. Wir leben in einer hochspezialisierten Wissenschaftswelt und die Spezialisierung schreitet stetig voran. Natürlich unterscheiden sich die Disziplinen, von stark kollaborativen Experimenten in den Naturwissenschaften bis hin zu noch immer eher individuell durchgeführten Promotionen in den Geisteswissenschaften. Der große Vorteil von Kollegstrukturen ist aus meiner Sicht, dass hier in der Regel ganz unterschiedliche Disziplinen zusammenkommen und es einen strukturierten Austausch gibt. Die Max Planck Schools denken diese Kollegstrukturen noch einmal weiter, zum einen weil sie größere Felder und damit unterschiedliche Fachkulturen zusammenbringen und zum anderen aufgrund ihres internationalen Anspruchs, der mit akademischen Prägungen aus den verschiedensten Ländern einhergeht – das ist wirklich etwas, das uns bereichert.
Knopf: Netzwerke können darüber hinaus auch dabei helfen, mit den eigenen Schwächen umzugehen oder strukturelle Probleme in einem Experiment oder der Lehre offenzulegen. Ein Beispiel: Wenn ein Experiment über lange Zeit einfach nicht funktioniert und sich schließlich als unmöglich erweist, dann ist das mitten in einer Qualifizierungsphase ein fundamentales Problem – nicht nur für die eigene Arbeit, sondern auch, weil Ergebnisse zum Präsentieren bei Konferenzen oder Seminaren fehlen. Solche Situationen zu besprechen und offenzulegen ist eine Situation, auf die man nicht vorbereitet ist, die man aber auch nicht sofort mit einem Professor diskutieren möchte. Hierbei können Netzwerke, insbesondere mit Kolleg:innen in ähnlichen Karrierephasen, sehr hilfreich sein. So einen Resonanzraum zu haben, ist wirklich sehr wichtig.
Alt: Absolut richtig. Ich habe zum Beispiel in meinen Doktorand:innen-Kolloquien immer versucht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Frage „Was, das kennst Du nicht?“ nicht gestellt wird. Und es gab einen expliziten Tagesordnungspunkt für Dinge, die nicht funktionieren. Solche Herangehensweisen helfen aus meiner Sicht, solche „Resonanzräume“, wie Sie es genannt haben, zu schaffen.
Ein weiteres besonderes Element der Schools ist für mich die Tatsache, dass die Kohorten-Bildung bereits in der Masterphase beginnt. Das gab es natürlich in der Vergangenheit schon ab und zu, aber nicht in dieser Struktur und Breite. Die Schools bieten die Möglichkeit, frühzeitig zu rekrutieren und dann in einer wissenschaftlich sehr anspruchsvollen Masterphase die Qualifikation zu vermitteln, auf die unmittelbar die Promotion folgt. Das fand ich als Idee schon immer sehr gut und das ist sicherlich institutionell in dieser Breite ein ganz neuer Ansatz, mit dem aus meiner Sicht auch die Universitäten weiterarbeiten sollten.
Knopf: Ich selbst habe ja „nur“ meine Promotion im Rahmen der MPS Photonics abgeschlossen und bin nicht schon zum Master in die School eingestiegen. Was Sie sagen, spiegelt sich aber in den Erzählungen verschiedener Kommiliton:innen wider, die dies zudem als eine Form der Wertschätzung wahrgenommen haben, was das Programm natürlich auch sehr attraktiv macht. Darüber hinaus glaube ich, wie Sie, dass sowohl unterschiedliche Fachkulturen, aber auch Geschlechter-Diversität und nationale Vielfalt eine große Bereicherung sind. Ich hatte zum Beispiel während meiner Zeit als Doktorand einen Kollegen aus Japan, der ganz anders gearbeitet hat als eine Kollegin aus Russland.
Daraus ergibt sich noch ein weiterer Aspekt, den ich tatsächlich nun auch in meiner politischen Arbeit benötige: Der Zwang, einen Sachverhalt in seiner Komplexität zu reduzieren und dabei auch die eigene Rolle und den Kontext, in dem man agiert, zu hinterfragen. Mein Doktorvater hat mir einen Zettel an den Computer geklebt, auf dem stand: „Sagst du das, was Du wirklich sagen willst, oder hast du drum herum geredet?“ Das ist in der Wissenschaft wie in der Politik entscheidend. Was nämlich nicht passieren darf, ist, dass wir eine vorgefertigte Antwort im Kopf haben, die wir unabhängig von der eigentlichen Frage geben [lacht]. Mir haben mir die Schools sehr dabei geholfen, das Grundgerüst der eigenen Forschungsfrage und -methodik zu hinterfragen, denn ich konnte nicht davon ausgehen, dass meine Gesprächspartner:innen dieses Grundgerüst bereits kennen.
Alt: Es freut mich, dass Sie diese wichtige Fähigkeit bereits während Ihrer Zeit bei den Max Planck Schools erlernen konnten. Rückblickend denke ich nicht, dass ich das bereits während meiner Promotion konnte; tatsächlich glaube ich, dass ich in der Kneipe regelmäßig daran gescheitert bin, mein germanistisches Dissertationsthema über die Ironie bei Thomas Mann und Robert Musil Freunden aus der Medizin oder der Rechtswissenschaft zu erklären [lacht]. Ich musste diese Kompetenz erst in meiner späteren Karriere, insbesondere während der akademischen Lehre, erlernen. Dabei ist die Fähigkeit, jenseits des fachlichen Diskurses Komplexität zu reduzieren, auch ein sehr guter Rückkoppelungsmechanismus für die eigene Forschung und Ergebnisse. Wir haben damals in der Diskussion über Sinn und Zweck einer Max Planck School zum Beispiel an England erinnert. Meine Zeit als Fellow in Cambridge und die dortigen Abendessen haben mir neben der Lehrtätigkeit sehr dabei geholfen, diese Fähigkeit gerade im interdisziplinären Diskurs zu erlernen.
Knopf: .. und die dortigen College-Strukturen, die das natürlich auch befördern ….
Alt: … ja genau, auch die Colleges. Das ist der Ort, wo man lernt, über die ganz unterschiedlichen Disziplinen hinweg zu diskutieren. Und solche Fähigkeiten sind bei uns in Deutschland gar nicht institutionell gefördert worden. Daher war dieser Entwicklungsprozess von den fachspezifischen Kollegs in den 1980er Jahren über die schon sehr viel breiteren Graduiertenschulen bis hin zu den sehr interdisziplinären Max Planck Schools, die wie ein Sog um ein großen Forschungsfeld herum wirken, nur folgerichtig.
Knopf: Und wenn wir über Colleges, aber auch Strukturen in anderen Ländern sprechen, sprechen wir auch unmittelbar über die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems. Wir haben hierzulande viele attraktive, renommierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber die stehen nun einmal international in einem Wettbewerb, mit zum Beispiel den prestigeträchtigen Colleges, in Ländern mit ganz anderen Finanzausstattungen und Strukturen. Darum muss sich auch unser Wissenschaftssystem immer weiterentwickeln und neue Ansätze ausprobieren. Mit den Schools haben wir nun einen zusätzlichen Baustein im System, der uns international noch einmal breiter aufstellt. Das kann sich sehen lassen.
Alt: Ich würde gerne noch einmal zurückkommen auf Ihre vorherige Beobachtung zu den unterschiedlichen Arbeitsweisen Ihrer Kommiliton:innen aus den verschiedenen Ländern. Ist das aus Ihrer Sicht eine Folge anderer akademischer Prägungen? Oder woher könnte das kommen?
Knopf: Meiner Erfahrung nach sind das einerseits akademische und andererseits auch kulturelle Prägungen. Meine japanischen Kolleg:innen haben sich Problemen mit einer großen Strukturiertheit und Disziplin angenähert. Gleichzeitig hatten sie eine kluge Art von Humor und Lockerheit der Arbeit gegenüber. Wiederum eine Kollegin aus Russland war wahnsinnig hands-on. Sie hat zum Beispiel nicht darauf gewartet, dass eine Bestellung an Geräten geliefert wurde, sondern hat sie kurzerhand selbst aus bestehenden Utensilien gebaut. Und damit war sie, mit einer für uns vielleicht etwas unkonventionellen Arbeitsweise, sehr viel schneller als wir. Solche unterschiedlichen Herangehensweisen an Forschung haben uns immer wieder aus dem Alltagstrott herausgeholt und waren ein Quell von Inspiration und Kreativität.
Alt: Und gerade so etwas benötigen wir doch auch, wenn wir über „Qualifizierung zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung“ sprechen, eines der Ziele der Max Planck Schools. Damit Wissenschaft Lösungen entwickeln kann, ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, dass man neben der disziplinären Spezialisierung – die für eine Promotion notwendig ist – gleichzeitig ein großes Maß an Kontextwissen mitbringt. Und dieses erschließt sich ja – wie Sie gerade sehr anschaulich geschildert haben – aus unterschiedlichen Erfahrungshintergründen sowie der Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen und dem damit verbundenen Perspektivenwechsel. Der Antrieb ist Neugierde, es gibt Rückschläge …
Knopf: … die man ganz unbedingt teilen muss!
Alt: … ja genau, ganz wichtig. Dieses Lernen, über Widerstände Lösungen zu finden, gehört unbedingt zur Wissenschaft. Und dazu gehört aus meiner Sicht die Fähigkeit zur Selbstreflexion, auf mehreren Ebenen: Zum einen die Reflexion über die eigene Methodik, vielleicht auch die Frage, ob es Alternativen hierzu gibt; zum anderen die Frage, was man mit dem Gelernten anfangen kann bzw. wo die Risiken liegen. Denn jedes Fach hat auch eine eigene Geschichte mit dunklen Seiten. Diese dunklen Seiten haben sich enthüllt zwischen 1933 und 1945, als sich die deutsche Wissenschaft an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt hat. Letztlich gibt es wohl keine Wissenschaft, die nur helle Seiten hat, denn Wissenschaft ist auch – sozusagen dialektisch – immer in zwei Richtungen anwendbar, einerseits zum Vorteil der Menschheit, aber eben auch zu ihrem Nachteil. Und das ist, so allgemein das jetzt auch klingen mag, ein Punkt, der in Promotionsprogrammen auch eine Rolle spielen muss. Das soll nicht heißen, dass jede:r tief in die Wissenschaftsgeschichte des eigenen Feldes einsteigen muss, aber solche Aspekte mit zu reflektieren, ist glaube ich ausschlaggebend. Und das ist für mich auch ein Teil der Antwort auf die Frage, was man den Promovierenden mitgeben muss, damit sie tatsächlich auch befähigt sind, zu Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit beizutragen: Kontextwissen, Reflexionsfähigkeit und die Möglichkeit, in Alternativen zu denken. Aus meiner Sicht besteht eine der größten Qualitäten der Wissenschaft darin, dass sie das, was gegeben ist, analysiert, aber uns zugleich auch Optionen aufzeigt, was zum Besseren verändert werden kann. Diese Fähigkeit müssen aus meiner Sicht Programme wie die Max Planck Schools vermitteln, wenn wir über gesellschaftliche Verantwortung sprechen.
Knopf: Tatsächlich haben mir die Schools dabei geholfen, mich selbst und meine Verantwortung für die Gesellschaft zu hinterfragen. Natürlich ist Wissenschaft auch ein Dienst für die Gesellschaft, wir forschen ja nicht um der Forschung willen. Neugier ist ein Antrieb, aber wir forschen natürlich oft, um bei konkreten Problemen voranzukommen. Wissenschaft entwickelt Lösungen für diese Herausforderungen unserer Zeit und ist eine Bewertungsgrundlage – gute Beispiele sind hier die Klimakrise oder die Corona-Pandemie. Also wie finden wir den Weg von einer Herausforderung hin zu einer Lösung? Wissenschaftliche Erkenntnisse sind mitunter sehr klar. Die gesellschaftlichen Herausforderungen vor denen wir stehen, sind vielfältig. Politik hat die Aufgabe, wissenschaftliche Lösungsvorschläge in den gesellschaftlichen Kontext einzubetten und in Handeln zu übersetzen, das dem Wohle der Gesellschaft dient.
Alt: Letztlich reden wir doch gerade über „Wissenschaftskommunikation“. Wissenschaft kann ja häufig keine kompletten und glatten Lösungen bieten und das ist auch eine Botschaft, die sie aussenden sollte. Aber diese Kommunikationsleistung muss man eben auch erbringen können. Ich bin überzeugt davon, dass diese Fähigkeit in der Promotion entwickelt werden muss, noch besser natürlich in Ansätzen bereits in der Masterphase. Und wenn wir auf die Frage schauen, was wir bei den Max Planck Schools weiter ausbauen könnten, dann wäre es aus meiner Sicht ganz wichtig, diese Vermittlungsleistung im Blick zu haben. Insbesondere wenn es Schools in neuen Themenfelder geben und sich damit das Spektrum erweitern wird. Wissenschaftskommunikation ist ja keine einseitige Angelegenheit; Ich reagiere notwendigerweise auch auf andere, insbesondere mittlerweile in den sozialen Medien. Das ist ein komplexer Vorgang und eine enorme Herausforderung, die erlernt werden muss.
Knopf: Eine weitere Herausforderung, die die Schools aus meiner Sicht im Auge behalten sollten, ist die Herausbildung unterschiedlicher Identitäten im Rahmen des Programms, durch die Anbindung an das eigene Institut oder die eigene Universität einerseits, und die Verankerung im Netzwerk der Schools andererseits. Die Schools zielen ja nicht darauf ab, diese erste Säule irgendwann zu ersetzen, sondern sie als zweite Säule zu ergänzen. Und für mich ist hier die Frage, ob und – wenn ja –, wie man diese Herausbildung verschiedener Identitäten noch besser unterstützen kann.
Alt: Das ist wirklich eine wichtige Frage. Die Fachidentität als erste Säule und das Graduiertenprogramm als zweite verlangen natürlich auch doppelte Netzwerkarbeit und kosten demnach Zeit – was mit einer gewissen Überforderung und Zielkonflikten einhergehen kann. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist hier die Promovierenden nicht zu überfrachten. Teil des Wissenschaftssystem ist auch diese unglaubliche Hektik, was zu einer Überforderungskrise führen kann, der sich sogar die Etablierten aussetzen. Das darf insbesondere nicht in der frühen Phase der Promotion passieren. Entschleunigung ist wichtig.
Der Germanist Prof. Dr. Peter-André Alt war bis Ende März 2023 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und in dieser Funktion Co-Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Max Planck Schools. Seit April leitet er die neugegründete Wübben Stiftung Wissenschaft und widmet sich hier den Themen Wissenschaftsförderung auf internationalem Spitzenniveau sowie Stärkung der wissenschaftliche Innovationskraft von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Er schreibt regelmäßig Kolumnen zu wissenschaftspolitischen Themen und war in zahlreichen nationalen sowie internationalen Beiräten tätig.
Dr. Heiko Knopf ist seit Februar 2022 stellvertretender Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er studierte Physikalische Technik sowie Laser- und Optiktechnologien an der Friedrich-Schiller Universität (FSU) in Jena – eine der neun tragenden Partneruniversitäten der Max Planck Schools. Für einen Forschungsaufenthalt verbrachte er fünf Monate an der Shizuoka University im japanischen Hamamatsu und begann schließlich als Doktorand seine Forschungstätigkeit am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF sowie am Institut für angewandte Physik der FSU. 2021 wurde er als einer der ersten Absolvent:innen der Max Planck School of Photonics promoviert. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit engagiert er sich bereits seit 2012 politisch.
Das Gespräch begleitete Dr. Johanna Rapp.